Die große Pest 1708 – 1710 in Ostpreußen

1704 näherte sich die schreckliche Krankheit, von Krakau über Warschau kommend, den Grenzen Preußens. Trotz sorgsamer Überwachung griff sie 1708 nach Preußen über. Mit Beginn des Jahres 1709 schien sie erloschen zu sein; doch sollte das Schlimmste noch kommen.

Die Jahre 1706 bis 1708 hatten schwere Missernten gebracht, und der furchtbar strenge Winter 1708/09 steigerte das Unglück. Die erste Schreckensbotschaft kam aus dem Kirchdorf Schloßbach (Pillupönen), Kreis Ebenrode.

Der Sommer 1709 brachte wieder eine völlige Missernte, und nun breitete sich die Epidemie schnell aus.
Dazu trugen auch bei:
          • Unzureichende Isolierungsmaßnahmen
          • Unsauberkeit
          • Gleichgültigkeit der Bevölkerung und
          • der Aberglaube.
  
Viele Dörfer waren binnen weniger Tage verödet. Auch in Gumbinnen war die Bevölkerung stark zurückgegangen. Die Orte Nemmersdorf, Grünweiden sowie die an Gumbinnen grenzenden Siedlungen Johannlauken, Balzerlauken und Luzellen verloren alle Einwohner. Entweder waren sie der Seuche zum Opfer gefallen, verhungert oder geflohen, um von den Stätten des Grauens fortzukommen. Ihre Häuser, Scheunen und Ställe verfielen.
 
Ergreifend schildert ein altes Pestlied die Schrecken jener Zeit. Es lautet: 
 
 „Die wilde Pest heert weit und breit,
  Mit Leichen ist die Welt bestreut.
  Schon manchen Toten deckt sein Grab,
  Der’s graben wollt, sank selbst hinab.  

  Bekleidet auf dem Felde liegt
  Der Leichnam, bis der Hund ihn kriegt.
  Verzweifelt wirft, den Raben gleich,
  Das liebe Kind man in den Teich.  

  Das Elternpaar liegt auf der Bahr
  Verwaiset steht der Kinder Schar.
  Sie weinen sich die Äuglein rot,
  Vergehn in Frost und Hungersnot.  

  Sie tasten mit den Händchen klein
  Nach Väterchen und Mütterlein,
  Sie fordern weinend Milch und Brot,
  Die Mutterhand bleibt kalt und tot.
 
  Das Söhnlein hört der Vater nicht,
  kein Wort die tote Mutter spricht,
  Doch fasst der Säugling unbewusst
  Noch an die kalte Mutterbrust. 

  Am Tage scheucht uns Winseln auf,
  Geheul durchbricht der Nächte Lauf.
  Wer noch am Leben ist, verzagt
  Und wird von düstrer Angst geplagt.  

  Hier presst die Krankheit Seufzen aus,
  Dort bricht die Pest blitzschnell ins Haus,
  Entreißt im Flug die Deinen Dir,
  Denn sein darf keiner warten hier.  

  Die Menschen schwärmen auf dem Feld,
  Ohn Rast und Ruh ist alle Welt,
  Der Bruder fleucht den Bruder scheu,
  Und keiner bleibt im Tode treu.“
 
Von den 600.000 - 700.000 Ostpreußen hatte die Pest 200.000 – 250.000 dahingerafft, also mehr als ein Drittel der Bevölkerung. Die größten Opfer aber musste unsere engere Heimat, der Bezirk Gumbinnen, bringen, denn allein 80 % aller Todesfälle sind in diesem Teil Ostpreußens zu verzeichnen gewesen. 10.834 Bauernhöfe waren durch die Pest in Ostpreußen verödet; davon entfielen auf die Ämter Interburg, Ragnit, Tilsit und Memel allein 8.411; den größten Anteil hatte das Amt Insterburg mit 4.620.
 
Hatte der Tatareneinfall das Land schon überaus schwer getroffen, so vollendete die Pest das Werk der Zerstörung und Entvölkerung gänzlich. Einen Bauernstand gab es in und um Gumbinnen kaum noch. Wer die Schreckenszeiten überlebt hatte, war jedenfalls völlig ruiniert. Ebenso lagen Handel und Gewerbe darnieder.

Erst im Jahre 1710 erlosch die Pest. 

Quelle: Gumbinnen von Dr. Grenz - nach den Unterlagen von Otto Gebauer