Einen wichtigen Einblick in die Vorgänge von Nemmersdorf vermittelt schließlich der Bericht von Fritz Feller aus Kaimeiswerder, in dem auch teilweise Namen der ermordeten Opfer genannt werden:
 
„Bericht über meine Erlebnisse beim Einbruch der Russen in den Kreis Gumbinnen und besonders über die Ereignisse in Nemmersdorf:"
 
„Ende September 1944 hatte die Landesbauernschaft mit den Kreisbauernführern der einzelnen Kreise Ostpreußens entgegen dem ausdrücklichen Befehl des Gauleiters einen Plan für die Räumung der östlichsten Kreise ausgearbeitet. Nach diesem Plan hatte der Kreis Gumbinnen den Kreis Gerdauen als Aufnahmekreis zugewiesen bekommen. In meiner damaligen Eigenschaft als Kreisbauernführer hatte ich mit den einzelnen Bezirks-bauernführern einen Räumungsplan mit den Abfahrtstraßen ausgearbeitet. Eine Vorbereitung der Räumung in Zusammenarbeit mit der Kreisleitung war nicht möglich, da diese strikten Befehl hatte, jede Vorarbeit einer Räumung zu verbieten. Als ich am 20. Oktober 1944 früh mit meinem Pkw nach Groß-Waltersdorf fahren wollte, standen an der Chaussee, etwa 3 km von Groß-Waltersdorf, Volkssturmmänner hinter Chausseebäumen verteilt mit je 5 Patronen in der Tasche. Ein Kradfahrer, den ich anhielt und der aus Groß-Waltersdorf herauskam, sagte mir, daß in etwa 500 m Entfernung russische Panzer anrollten. Ich habe die Panzer selbst gesehen und fuhr auf dem schnellsten Wege nach Gumbinnen zum Regierungspräsidenten. Ich traf ihn in seinem Dienstzimmer an, erklärte ihm die Lage und verlangte von ihm die sofortige Räumung der Zivilbevölkerung des Kreises Gumbinnen. Ich bekam von ihm die mündliche Erlaubnis, sie selbst durchzuführen. Sämtliche Telefonverbindungen waren durch den kurz vorher erfolgten Bombenangriff zerstört worden.
Nun fuhr ich zur Kreisbauernschaft, setzte alle greifbaren Motorfahrzeuge in Bewegung, um die einzelnen Bezirksbauernschaften zu benachrichtigen und gab folgenden Befehl heraus: „Der Kreis Gumbinnen marschiert am 21. Oktober 1944, früh 6 Uhr, auf den befohlenen Wegen nach dem Kreise Gerdauen." Ich selbst benachrichtigte die Bezirksbauernführer in Branden (Ischdaggen), Kanthausen (Judtschen) und Nemmersdorf. Gegen Abend kam ich auf meinem Hof an und ordnete die Vorbereitungen für den Abmarsch für den nächsten Morgen an. In der kommenden Nacht, die sehr dunkel und neblig war, hörte ich laufend Artillerie- und Maschinengewehrfeuer aus Richtung Schulzenwalde. Der Flüchtlingsstrom von Fuhrwerken und Fußgängern rollte die ganze Nacht aus den Kreisen Goldap und Stallupönen (Ebenrode) in Richtung Westen. Früh um 4 Uhr war es mir möglich, meinen Treck auf der vorgesehenen Straße Richtung Sodehnen—Gerdauen in Marsch zu setzen. Da ich jetzt auf den Abmarsch keinen Einfluß mehr hatte, fuhr ich selbst nach Gerdauen vor, um mit dem dortigen Kreisbauernführer die Einweisung der einzelnen anrollenden Gemeinden vorzubereiten. Dieses wickelte sich verhältnismäßig reibungslos ab, so daß am 21. Oktober abends der größte Teil der Bevölkerung des Kreises dort eingewiesen war.
Als ich durch Gerüchte erfuhr, daß die Russen bei Nemmersdorf zurückgeschlagen sein sollten, fuhr ich am 22. Oktober über Insterburg, Kanthausen (Judtschen) nach Nemmersdorf. Hier hatte das Panzerkorps ,Hermann Göring' zusammen mit der Ersatzschwadron des Reiterregiments 1 aus Insterburg, die Russen über Nemmersdorf in Richtung Schulzenwalde in schweren Kämpfen zurückgeschlagen. Im Dorf Nemmersdorf selbst lagen 2 Volkssturm-Bataillone — so weit ich mich erinnern kann, eins aus Königsberg und eins aus Gumbinnen. —
Von diesen Volkssturmmännern und einzelnen Bewohnern aus Nemmersdorf und Umgebung erfuhr ich die näheren Umstände des Kampfes zwischen den Truppen und über die Greueltaten, die in Nemmersdorf und Umgebung geschehen waren. Nach ihren zuverlässigen Angaben kam russische Infanterie auf dem Wege Schulzenwalde—Wiekmünde (Norgallen), überschritt mit Teilen die Angerapp bei Reckeln in westlicher Richtung, wo sie einen unzerstörten Steg fand, den sich eine Batterie, die bei Rotenkamp stand, gebaut hatte. Diese Teile trafen in den frühen Morgenstunden die abmarschierenden Bauern in Reckeln und Schroedershof. Die Bauern wurden vom Wagen gerissen und sämtlich erschossen. Darunter befand sich auch der Bürgermeister von Nemmersdorf, Herr Grimm. Die Erschießungen fanden vor den Augen der Angehörigen statt. In Reckeln sind auch französische Kriegsgefangene erschossen worden. Ein anderer Teil Russen stieß von der Kiesstraße Wiekmünde (Norgallen)—Nemmersdorf  auf die Chaussee, die von Gumbinnen kommt und schoß dort blindlings in den Flüchtlingsstrom hinein. In Nemmersdorf selbst hatte ein Teil der Bevölkerung sich nicht rechtzeitig vor den Russen in Sicherheit bringen können und versteckte sich in Häusern, Schuppen und Chausseedurchlässen. Von diesen zurückgebliebenen Zivilpersonen und den Flüchtlingen, die aus anderen Gegenden stammten, aber gerade durch Nemmersdorf treckten, ist der größte Teil umgebracht worden, z. B. der alte Viehhändler Brosius, der Fleischermeister Kaminski mit seiner Frau und seiner Schwiegertochter mit zwei kleinen Kindern, Fräulein Aschmoneit, die gelähmt auf ihrem Sofa saß, der Invalidenrentner Wagner mit seiner Frau. Die Gemeindeschwester, eine junge Frau, wurde im Straßengraben niedergeschossen, aber nicht getötet. Ihr Mann gehörte zufällig zu der befreienden Truppe. Er fand sie selbst dort und hat sie noch retten können. —
Dies sind die Namen der Toten, die mir noch in Erinnerung geblieben sind. Der größte Teil der Toten bestand aus Flüchtlingen anderer Gemeinden. Ich habe sie selbst gesehen. Sie sind in Nemmersdorf durch den Volkssturm beigesetzt worden. In dem Keller unter dem Getreidespeicher des Gutshofs in Nemmersdorf wurden später noch zwei verstümmelte Leichen von jungen Mädchen gefunden, die nicht zu Nemmersdorf gehörten. Die Gesichter der im Kampf gefallenen Russen trugen restlos asiatische Gesichtszüge. Der Bericht des Kriegsberichterstatters, der seinerzeit durch den Wehrmachtsbericht, Presse und Rundfunk ging, war wahrheitsgemäß und objektiv gehalten. An dem Befreiungskampf um Nemmersdorf waren viele junge Söhne des Kreises Gumbinnen beteiligt. Nußbaum, den 12. Januar 1953. Fritz Feller."
 
Nach der Besetzung Ostpreußens durch die Russen richteten diese in Nemmersdorf eine Kolchose ein. Hier mußte auch Frau Irretier aus Gumbinnen (Goldaper Tor) arbeiten, die nach ihrer Rückkehr folgendes berichtete:
 
„Meine Kinder und ich waren mit vielen anderen Einwohnern aus Gumbinnen nach Pommern evakuiert. Hier blieben wir bis nach dem Einmarsch der Russen unbehelligt. Nachdem unter russischer Verwaltung ein neuer Bürgermeister gewählt war, bestimmte er, daß die Ostpreußen wieder in ihre Heimat zurückbefördert wurden. Was uns unter anderen Umständen mit der größten Freude erfüllt hätte, brachte uns jetzt ein bedrückendes Gefühl. Was würde mit uns in der Heimat geschehen, war die bange Frage, die wir uns immer wieder stellten. Einige Transporte waren schon zusammengestellt und auch abgefahren; ich hatte immer noch gezögert und die Abfahrt aufschieben können. Dann kam jedoch der letzte Transport, und ich mußte mit.
Die Fahrt dehnte sich endlos; wir waren wohl 14 Tage und noch länger unterwegs. Für meine drei Kinder hatte ich mir Zwieback und dergl. mitgenommen, ebenso für mich ausreichende Verpflegung, so daß wir gedachten, wenigstens in dieser Beziehung geschützt zu sein. Die russische Begleitmannschaft nahm uns jedoch alles weg, so daß wir am Schluß hungerten und entkräftet in Gumbinnen ankamen. Hier wurden wir in einer Unterkunft in der Brunnenstraße zusammengepfercht. Wir hatten Hunger; man kochte uns Grütze, die in einer Wanne ausgegossen wurde. Wir hatten keine Teller, weder Messer und Gabel noch Löffel. Es gab auch kein Wasser. In dem Raum standen schmutzige Gläser herum, die sicher schon von anderen benutzt waren. Wenn wir nicht vor Entkräftung umsinken wollten, waren wir gezwungen, diese schmutzigen Gläser mit der Grütze zu füllen und hinunterzuwürgen. Auch die Kinder mußten in dieser Weise essen. Man fing nun an, uns zu verhören, und zwar immer nachts. Vorerst wurde ständig gefragt, ob man selbst oder der Mann bei der Partei war. Wenn die Frauen es ehrlich bejahten, wurden sie und die Kinder sofort ausgesondert. Was mit ihnen geschah, wissen wir nicht. Wir haben sie nicht wiedergesehen.
Nach einigem Hin und Her wurden wir nach Nemmersdorf gebracht und mußten auf der Kolchose arbeiten. Die Arbeit war schwer, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Das Essen war sehr schlecht. Hier ist auch mein kleinster Junge an den Folgen der schlechten Ernährung gestorben. Die Sterblichkeit war überhaupt groß. Erst im Jahre 1948 wurden die Lebensbedingungen etwas besser, blieben jedoch noch immer schlecht genug. Weitere Kolchosen gab es noch in Stannaitschen und Brakupönen (Roßlinde). Hier ist Frau Räder, geb. Krajewski, gestorben. Ihre beiden Kinderchen wurden nach der Kolchose Nemmersdorf gebracht und hier sind auch beide gestorben. Kurz bevor wir nach dem Westen kamen, brachte man russische Zivilarbeiter nach Nemmersdorf. Wir, die wir schon viel gesehen und erlebt hatten, was russische Kultur betraf, waren doch noch verwundert über das, was aus dem inneren Rußland zu uns kam. Die Füße der Leute waren mit Lumpen umwickelt, bei den Männern hingen die Haare ungeschnitten und natürlich entsprechend verlaust über die Schulter. Die Kleidung war auch entsprechend. Wir schauderten. Zwar sahen wir auch abgerissen und elend aus, aber es trennte uns doch noch eine große Kluft von dieser Ausrüstung. Dabei kamen sie ja als freie Arbeiter aus ihrem siegreichen Vaterland, hatten also die Möglichkeit, alles das mitzubringen, was ihnen gehörte. Als für uns die Erlösungsstunde schlug, daß wir nach dem Westen durften, freuten wir uns über die Maßen, der Fronarbeit entronnen zu sein. Und nun sitzen wir hier im Westen. Wenn wir an die harte Zeit in der Heimat zurückdenken, wir wollen sie nicht noch einmal erleben. Aber — es ist die Heimat. Das Bittere verwischt sich, es bleibt nur immer das Andenken an das Zuhause. Und dort sind unsere Gedanken bei Tag und bei Nacht."

Termine

Beachten Sie bitte unsere Termine und nehmen Sie die Gelegenheit wahr, sich wieder mit Landsleuten zu treffen und Erinnerungen aufzufrischen.