Ferner befindet sich eine Planskizze des Ortes im Archiv der Kreisgemeinschaft, in die Lehrer F. Schlenther die 15 Anwesen des Ortes eingetragen hat:
 
1. Schule, 2. Pranzkat, 3. Karschuck, 4. Paszerat, 4a. Paszerat Insthaus, 5. Ragowski, 6. Szisnat, 7. Aschmoneit, 8. Kuntze, 9. Riehl, 10. Busching, 10a. Busching Insthaus. 11. Pinnau, 12. Plath, 13. Brommond, 14. Janert, 15. Pritzkuleit. —

Ferner befindet sich ein mit Schreibmaschine geschriebener „Bericht über das Dorf Jungort (Kiaulkehmen)" von Lehrer Fritz Schlenther im Archiv der Kreisgemeinschaft Gumbinnen.
 
Leider ist er in einem Erzählerstil abgefaßt, der es schwer macht, konkrete Angaben zu entnehmen. Danach haben die Grundstücke Janert und Pritzkuleit ursprünglich die selbständige Gemeinde Gerschwillauken gebildet, die 1936 nach Jungort eingemeindet wurde.

Bis 1920 bildeten die zwei Bauernhöfe Emil Riehl mit rund 100 Morgen und August Busching mit rund 200 Morgen (links hart am Bartschgraben, wenn man von Nemmersdorf aus kommt, Bauernhof Riehl lag dagegen auf der rechten Seite) die Gemeinde Ganderkehmen, die ebenfalls zu Jungort eingemeindet wurde. —

Zur Schule gehörten 11 Morgen Dienstland, das Schulgebäude war ursprünglich das Anwesen des Gemeindehirten. Die Kinderzahl war stets gering. Im Winter 1932/33 waren es für einige Wochen nur 10. Sie kamen nur aus Jungort. Nach der Eingemeindung von Gerschwillauken stieg die Zahl auf 30—40. Damit war die Gefahr gebannt, daß man die Schule auflösen könnte. Äußerlich machte das Gehöft gar nicht den Eindruck einer Schule. Es sah so aus wie die andern Bauerngehöfte: 3 Gebäude, Wohnhaus, Scheune und Stall, umschlossen den Hof. Die zwischen den Gebäuden offenen Stellen waren durch einen Zaun abgeschlossen. Außerdem bestand ein großer Garten wie bei allen andern Gehöften auch. Die Scheune war schon ziemlich alt Die Bretterwände erschienen vom Wetter grau verwittert. Der Stall dagegen war noch ziemlich neu und erst in den zwanziger Jahren gebaut, wie das Wohnhaus aus roten Ziegeln, unverputzt, aber sauber verfugt. An dem Stall befand sich noch ein zugehörender Teil aus Holz mit einem Raum für Brennmaterial und eine Schirrkammer. Der letzte Raum ist sogar sehr wichtig; denn dort war der Lehrer sein eigener Handwerker. Stall und Wohnhaus standen mit dem Nordgiebel direkt an der Straße, der Stall eigentlich schon auf der Straße, wodurch die Wegführung stark eingeengt wurde. Das Wohnhaus oder auch Schulhaus hatte an der Hofseite eine Tür zur Wohnung eine zum Klassenraum, der aber vom Hof nicht sichtbar war. Die Grundmauern waren niedrig, das Dach weit überstehend, die Fenster dementsprechend klein. Der Ur- oder Erstbau ist es gerade nicht mehr; niemals aber hat man das Schulhaus abgebrochen oder von Grund auf neu gebaut. Wenn irgendetwas daran baufällig war, dann wurde entweder der Unterbau erneuert, vielleicht auch nur Teile davon, oder es wurden Teile des Daches durchrepariert, daher hohe Schwellen, uralte Türen, kleine Fenster, niedrige Zimmer und eine für heutige Verhältnisse übermäßig starke Dachkonstruktion. Alles alt. Die dicken Deckenbalken sind aber indessen durch untergezogene Gipsdecken unsichtbar geworden. Viele Jahrzehnte bestand das ganze Haus nur aus ingesamt 4 Räumen: Klassenraum, Küche und zwei Zimmer. Im Anfang dieses Jahrhunderts ist man dann aber doch zu der Einsicht gekommen, daß es so nicht weitergehen kann. So wurde denn die Giebelseite nach Süden in den Garten hinein zum Klassenraum ausgebaut. Die neue Klasse war für 30 Schüler gerade noch ausreichend. Das war aber schon zu klein; für einen zeitgemäßen Klassenschrank fehlte es bereits an Platz; mehr Schüler durften nicht kommen. Eine Erweiterung der Klasse, verbunden mit der Modernisierung der Lehrerwohnung war in der Zeichnung auch fertig, als der Krieg begann. Die Klasse war aber hell und auch hoch genug. Die warme Sommersonne wurde durch einen riesigen Apfelbaum vor dem Fenster abgeschirmt. Pech! Wegen der Hitzeferien.
 
Ein Sorgenkind war die Wasserversorgung. Die Schule lag hoch. Mehrere Brunnenschächte waren im Laufe der 200 Jahre ausgehoben worden. Erfolg: Sickerwasser, sehr knapp im Sommer, dazu wurde es dann auch noch schwarz und stank wie Jauche. In trockenen Zeiten mußte das notwendige Wasser von den Bauern in Gefäßen angeliefert werden. Das kostete Geld und war während der Ernte eindeutig unbequem. Wegen der Schule wollte niemand die Erntearbeit unterbrechen. So kann man ohne Übertreibung behaupten: 200 Jahre war Krieg wegen Wasser. Die Schulchronik strotzte von Klagen wegen des Wassermangels. Angeblich sollte in der Nähe des ganzen Schulgehöftes keine Wasserader sein.
 
1937 (nach Verwaltungsbericht Gumbinnen wurde 1931 ein neuer Brunnen gebohrt) wurde dann aber doch endlich ein Bohrbrunnen in Angriff genommen. Ein Wünschelrutengänger vermutete auf dem Hof, 3 m parallel zum Schulhaus eine Wasserader, und es war richtig. In 24 m Tiefe stieß man auf eine 5 m starke Ader. Sie erwies sich als unerschöpflich und lieferte ganz vorzügliches Wasser. Jetzt trat gegenüber früher der umgekehrte Fall ein. Der Bauer Aschmoneit holte sich zeitweise jeden Tag eine Fuhre Wasser vom Schulhof, und wenn Pranskat gutes Wasser haben wollte, wußte er auch, wo es zu finden war. Gerade sein Brunnen hat manchmal in der Not aushelfen müssen. Jetzt durfte er es sich zurückholen. —

Noch einmal will ich auf das Schulhaus zurückkommen. Der alte Klassenraum wurde nach dem Anbau ein Zimmer der Dienstwohnung. 35 qm für eine Stube ist wohl etwas reichlich. Die ganze Wohnung hatte damit eine Größe von rund 130 qm; oben waren zwei Fremdenzimmer. Somit bestand die Wohnung aus Küche, Speisekammer und 5 Zimmern. Die beiden Fremdenzimmer waren, namentlich im Sommer, oft belegt.
 
In 20 Minuten Fußweg hatte man von der Schule aus Kollatischken erreicht. Dort gab es in einer Schleife der Angerapp eine breitere Stelle, die als Pferdeschwemme für ganz Jungort in Anspruch genommen wurde, aber auch als Freibad. Der Besitzer Jenett aus Kollatischken war davon nicht erbaut, aber mit einem Verbot kam er nicht durch, auch eine Verbotstafel blieb ohne Wirkung. So mußte sich J. schließlich mit den Verhältnissen abfinden. —
 
Bis 1933 besuchte den Ort regelmäßig eine Zigeunersippe Morgenstern, die angeblich in Kummetschen bei Goldap einen festen Wohnsitz hatte. Zwei- bis dreimal kam sie im Jahre durch Jungort und schlug bei Aschmoneit ein Lager im Walde auf. Die 15 Personen der Sippe verteilten sich auf 2 Planwagen; es waren alle Lebensalter vertreten vom Säugling bis zum Greisenalter. Sie blieben auf dem Lagerplatz stets für mehrere Tage. Die Sippe Morgenstern hatte ein Privileg auf diesen Campingplatz, gegen das keine andere Sippe verstoßen durfte und auch nie verstoßen hat. Es war immer die gleiche Mannschaft, die in Jungort auftauchte. Sie gingen durch das Dorf, bei der Schule anfangend, betteln und übten Wahrsagen und Kartenlesen. —

Der Bürgermeister des Ortes erhielt anstelle von Bargeldentschädigung für seine Bürgermeistertätigkeit das Jagdrecht in der Jungorter Flur zugesprochen (ausgenommen Ortsteil Heinrichsdorf). An Jagdwild gab es allerdings nur Hasen und Rehe. Schwarzwild war nicht vorhanden. Dazu war für den Abschuß an Rehen nur eine ganz geringe Zahl freigegeben, ich glaube, es war im Sommer ein einziger Bock. —
 
In der Flur des Ortsteils Ganderkehmen, Feldflur Aschmoneit, befand sich ein nicht großes Moor. Das überschüssige Wasser hatte einen Abfluß zum Bartschgraben, der sich durch Wiesen in einer Talsohle zur Angerapp schlängelte. Im Hochsommer war er trocken. In der Regenzeit aber überflutete er die Wiesen, die dadurch versumpften und an Wert verloren; dafür waren da eine Unmenge von Fröschen, die ihrerseits zahlreiche Störche anlockten, und diese hatten dem Dorf den Namen gegeben. Ganderkehmen, eine litauische Bezeichnung, heißt zu deutsch Storchendorf.

Um 1935 kam es zur Bildung einer Wassergenossenschaft, die die Bartsch kanalisierte. Viel Arbeit machte der Straßendurchbruch, weil dort stark vertieft werden mußte. Ein Arbeiter hat dabei sein Leben eingebüßt. —

Erwähnt sei noch, daß jeder Bauer ein Stück eigenen Wald, die meisten auch noch ein Torfmoor hatten. Pranzkat besaß dicht am Jungorter Friedhof eine — allerdings nicht sehr ergiebige — Kiesgrube. —

Die Schulchronik, die der Vater von Frieda Jung, Lehrer Jung, um 1860 begonnen hatte, ist verloren. Es stand in ihr, daß die Schule 1734 gegründet worden sei.

Das älteste Bauerngeschlecht dürfte wohl Aschmoneit sein (litauisch).

Die Pest 1709/10 hat auch in Kiaulkehmen grassiert und einige Höfe freigemacht. Es kamen neue Bauern hinein, von denen sich am längsten Fürstenberg gehalten hat, der Schwiegervater von Karschuck. Frau Karschuck ist von Frieda Jung als Malchen Berg in die Literatur eingegangen. Die Höfe lagen ursprünglich eng zusammen um den Dorfteich herum, also ein geschlossenes Dorf. Aus den zahlreichen umliegenden Wäldern kam viel Wild in die Felder, besonders Wildschweine verwüsteten die tiefer gelegenen Fluren und wurden zur Landplage. Daher der Name Kiaulkehmen, auf deutsch Schweinedorf.

Nach der Separation in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bauten sich einige Bauern, deren Felder am weitesten ablagen, aus, z. B. Ragowski, Jung und Aschmoneit. Einige sind ausgestorben bzw. haben abgewirtschaftet. Ihre Höfe wurden willkommenes Kaufobjekt für die Tüchtigen, deren Höfe doch alle kaum größer als 40 Morgen waren. Das Insthaus von Paszerat ist der Rest eines solchen Bauernhofes. —

Der erste Lehrer im Ort hieß Vouilleme. Wenn Lehrer Friedrich Jung, der Vater der Heimatdichterin, krank wurde, vertrat Frieda ihn als Laienkraft im Unterricht. Das war damals noch möglich. Ihr bekanntestes Buch war „Morgensonne, Morgengold", eine Jugenderinnerung. Von der hohen Küchenschwelle, dem Flieder vor dem Fenster bis zum Erlengebüsch am Vorflutgraben in der Wiese, das war bis 1945 alles noch da.

Die Umbenennung von Kiaulkehmen in Jungort erfolgte auf Antrag der Bewohner des Ortes und zwar ohne Widerspruch, der sonst bei allen Debatten regelmäßig in Erscheinung trat.

(Fritz Schlinther, Köln-Mülheim, den 8.4.1955.) —


Termine

Beachten Sie bitte unsere Termine und nehmen Sie die Gelegenheit wahr, sich wieder mit Landsleuten zu treffen und Erinnerungen aufzufrischen.