Die „Alte Regierung"

Bis zum Jahre 1832 stellte man Erwägungen um den Neubau an. Die Dienstgeschäfte wurden in dieser Zeit, so gut es ging, im Hause des Majors Ranisch unweit des „Magazins" weitergeführt. Abgesehen von mancherlei Einzelheiten um die Baupläne des neu zu errichtenden Regierungsgebäudes, wobei es um die Frage ging, ob die Wohnung des Präsidenten sich im Gebäude selbst befinden solle, ist nun ein Briefwechsel des Oberpräsidenten Theodor von Schön interessant, der sich auf die Ausführung des Neubaus überhaupt bezieht, also auf die bis in unsere Zeit weithin bekannte „Alte Regierung". Aus Berlin war am 12. Mai 1832 eine Kabinetts-Ordre ergangen, durch welche genehmigt wurde, daß das Regierungs-Konferenzgebäude einschließlich der Präsidialwohnung, aber ohne Freitreppe und ohne Turm nach dem Plane des Geh. Ober-Baurats Severin (128 : 106% Fuß) erbaut werden solle. 

Theodor von Schön schreibt dazu an das Ministerium in Berlin:

Bei meinem unlängst stattgefundenen Aufenthalte in Gumbinnen habe ich mich überzeugt, daß der baldigste Wiederaufbau des Regierungs-Conferenz-Hauses dringend nothwendig ist, und ich nehme mir die Erlaubniß, die Förderung dieser Sache ganz ergebenst zu empfehlen.
Daß das Reg. Conferenz Gebäude auf der bisherigen Stelle wieder erbaut werden solle, finde ich nicht allein sehr gut, sondern sogar nothwendig; dies Haus ist ein schönes Dokument des großen Königs Friedrich Wilhelms des Ersten, die ganze Stadt ist auf das Conferenzhaus berechnet, die ganze Stadt ist nur durch den Regierungssitz da, und das Regierungs-Conferenz-Haus an seiner Stelle, bildet den Mittelpunkt der Provinz, wie ich nichts Aehnliches in unsrem Staate kenne.
So viel ich in Gumbinnen erfahren habe, soll dies Regierungs-Conferenz-Haus
1) zugleich die Wohnung des Präsidenten, ja sogar eine Stallung enthalten, und
2) dies Gebäude ohne Thurm in einem griechisch-heydnischen Styl erbaut werden.
Was das erste Vorhaben betrift, so bitte ich aufs Dringendste davon zu abstrahieren, daß der Präsident mit seinem nothwendigen Wirtschafts-Apparate, in dem Gebäude, welches den Gedanken eines Gouvernements mehr als irgend eins ausdrückt, untergebracht werde. Kommt häusliche Wirthschaft mit allem Apparat und allem Unrath, kommen sogar Pferde und Pferde-Dünger in dies Gebäude, so ist der hohe Gedanke Friedrich Wilhelms des Ersten dermaßen verletzt und entwürdigt, daß Mit- und Nachwelt, streng darüber richten müßten. Es ließ der große König Friedrich Wilhelm der Erste auf dem Regierungs-Conferenz Gebäude einen Thurm setzen, damit dies Haus vorleuchte vor allen Häusern der Provinz. Dieser Gedanke scheint mir so erhaben, daß es niemals rathsam seyn kann, ihn zu vernichten, am wenigsten in einer Grenz-Provinz, die den Vorposten einer kultivierten Welt hat. Meines Erachtens gehört hier an der Grenze des deutschen Volks und des Slawenthums kein griechisch-heydnisches, sondern ein christlich-deutsches Gebäude hin, auf dessen Thurm der ganze Umkreis zu sehen hat."

Der flammende Protest Schöns blieb ohne Wirkung. Im August 1832 berichtete die Oberbaudirektion (u. a. Schinkel) an den König, dass die äußere Ansicht des projektierten Gebäudes einfach sei, sich aber „durch seine Verhältnisse" als öffentliches Gebäude auszeichne und keine kostspieligen Anordnungen nötig wären. Am 08.10.1832 genehmigte der König den Entwurf und ließ für den Bau 53.907 Taler anweisen. Die Bauleitung wurde an Stelle des Sohnes von K. F. Schinkel, der noch mit dem Bau des Palais des Prinzen Albrecht in Berlin beschäftigt war, dem bereits bewährten Baukondukteur Stein übertragen. Am 15.10.1832 fand unter großen Festlichkeiten die Grundsteinlegung für den Bau der Alten Regierung statt, der Theodor von Schön krankheitshalber fernblieb. Ein Satz in seinem Entschuldigungsschreiben aber beleuchtet den eigentlichen Grund: „Die Hoffnung, welche Ew. Hochwohlgeboren aussprachen, daß der Bauplan nach meinen Anträgen eine Aenderung erleiden dürfte, ist leider nicht in Erfüllung gegangen."

Als Grundstein für die Alte Regierung stiftete die Stadt einen mächtigen Granitblock, in den man eine Urkunde legte, welche die Namen der Mitglieder der Regierung sowie statistische Nachrichten enthielt, dazu Bildnisse des Königs und des Kronprinzen, schließlich Zeichnungen des abgebrannten Konferenzhauses und des neu zu errichtenden Regierungsgebäudes.
 
 


Nach der Grundsteinlegung ging Stein mit Eifer an den Bau, musste aber bald nach Berlin berichten, dass es an technisch ausgebildeten Handwerkern mangele. Ferner bat er um Erhöhung seiner Diäten, da der Aufenthalt in Gumbinnen, wie er nachwies, „in Rücksicht der Teuerung dem in Berlin gleichzustellen" sei. Sein Gesuch wurde abgelehnt. Bald erkannte man auch Mängel im Bauplan und bat u. a. (Januar 1833) die Präsidialwohnung fortlassen zu dürfen. Man wies ferner darauf hin, dass das Gebäude in der geplanten Größe von vornherein unzureichend, unbequem, feuergefährlich und vor allem durch den engen Hof ungesund sei. Der Schnee würde auf dem Hofe „bis tief in den Sommer'' liegen bleiben. Selbstverständlich erwog man in den Ministerien diese Bedenken, ließ sie aber auf Grund eines eigenhändigen Gutachtens Schinkels nicht gelten. Schinkel, der seine Gedanken selten zu Papier brachte, bringt in diesem Falle seine Ansichten, die in bautechnischer wie künstlerischer Beziehung interessant sind, schriftlich zum Ausdruck:
.. . daß bei den gesamten Ausstellungen der Regierung das Urteil eines Sachverständigen vermißt wird, daß der Regierung bei den vorgeschlagenen Verbesserungen kein deutliches Bild eines ändern Gebäudes vorgeschwebt haben kann, denn reihet man die gegebenen Andeutungen aneinander, so entsteht ein Gebäude nach gewöhnlichem Handwerks-Schlendrian, der leider nur zu lange eine barbarische Bauart gepflegt und jedem Gebildeten zum Ekel im Lande verbreitet hat, womit denn der größte Teil des Publikums, dessen Urteil die Regierung zu fürchten scheint, sich freilich insoweit einverstanden erklären würde, wie überhaupt ein allgemeines Verständnis möglich ist. Wenn der gebildete Teil der Nation und die Sachverständigen dem Publikum nicht weit vorauseilt und dessen Urteil hinter sich läßt, so wird schwerlich aus einer öffentlichen Unternehmung etwas Ersprießliches hervorgehen. — Soweit mir die größeren und öfentlichen Gebäude Preußens bekannt sind, ist das vom Herrn Geh. Oberbaurat Severin entworfene Regierungsgebäude zu Gumbinnen ohne alle Frage bei weitem das feuersicherste: nicht allein in Beziehung auf das Gebäude selbst mit seinen durchaus massiven Treppen, gewölbten Korridoren in allen Geschossen, gewölbten Kellern und unteren Geschossen, flachen Bedachungen mit geringem Holzausbau usw., sondern wohltätig schützend für die ganze Stadt durch seine hohen Frontmauern und einwärtsgekehrten Dachungen — die kräftigste Hemmung bei großer Feuersbrunst in der Stadt.
Der Wunsch unverhältnismäßig großer und imponierender Eingänge, welcher sich in moderner Zeit, man könnte besonders russischem Einfluß Schuld geben, in die Architektur eingeschlichen hat, verdarb auf eine barbarische Weise die guten und wohnlichen Einrichtungen in den Gebäuden unseres nördlichen Klimas. Meines Erachtens sind die Portale ... in angemessenem Verhältnis und sind vernünftigerweise weder zu erhöhen und zu verbreitern ohne in architektonische Hauptfehler zu verfallen.
Bei einem ringsum frei auf einem Platz der Stadt liegenden öffentlichen Gebäude, welches eines Hofes bedarf, gibt es nur die einzige Anlage, welche zugleich in ökonomischer, ästhetischer, wohnlicher und administrativer Hinsicht die vorteilhafteste ist, die, daß das Gebäude den Hof umschließt. Es versteht sich von selbst, daß der Hof eines öffentlichen Gebäudes in der Stadt nicht wie der Ökonomiehof eines Vorwerks auf dem Lande benutzt werden kann. — Die ferneren Vorteile solcher Anlage sind: die angenehme Lage sämtlicher Zimmer, deren Fenster überall dem freien Marktplatze zugewendet sind, die reinen architektonischen Verhältnisse des Gebäudes von allen Seiten, die nicht durch erdrückende Dächer verunstaltet werden. — Man sollte glauben, die Regierung hätte sich glücklich schätzen müssen, in ihrer Provinz endlich einmal ein Projekt ausführen zu können, in welchem artistische und wissenschaftliche Einsicht einen Fortschritt in der Zeit fühlen läßt. Aber mit wie geringer Sachkenntnis bei ihrer Beurteilung verfahren wird, geht am schlagendsten aus den aufgestellten Vergleichungen des projektierten Gebäudes mit anderen in ihrer Konstruktion ganz heterogenen und mit diesen durchaus nicht vergleichbaren Gebäuden hervor. —
Berlin, den 1. März 1833
Schinkel

Im Jahre 1834 erwies sich bereits, dass die in dem Neubau geplanten Räumlichkeiten nicht ausreichten. Im September d. J. besichtigten der Geh. Oberbaurat Severin den Fortgang der Arbeiten. Er drückte seine Zufriedenheit über Steins Tätigkeit und Umsicht aus, und bald berichtete Stein, dass auch Schinkel sich an Ort und Stelle von dem erfolgreichen Fortgang der Arbeiten überzeugt und auch Proben an das Ministerium geschickt habe. Noch einmal versuchte Schön einige seiner Wünsche für die äußere Gestaltung des Gebäudes durchzusetzen. Schinkel ging soweit darauf ein, dass er für die vier Ecken des Gebäudes Türmchen entwarf. Aber die Oberbaudirektion wies auch diese Pläne zurück, da der Bau schon zu weit fortgeschritten, die Anbringung dieser Türmchen nicht zweckmäßig sei, auch nicht den Verhältnissen des gesamten Bauwerks entspräche. Vielleicht fürchtete sie auch die zusätzlichen Kosten, da man bereits 13.280 Taler mehr gebraucht als man vorgesehen habe und die sich später noch um 4.623 Taler vermehrten. So blieb man im wesentlichen bei der Gestalt, die die Alte Regierung dann bis in unsere Zeit gehabt hat.
Am 03.08.1835 fand die feierliche Enthüllung des Denkmals Friedrich Wilhelms I. vor der Alten Regierung statt. Einzelheiten seien hier übergangen, nur dessen gedacht, dass die Stadt eine Deputation zu dem früheren Bürgermeister Passauer entsandte, dessen Initiative man das Denkmal verdankte. Der Greis, lange krank darniederliegend, schon mit dem Tode kämpfend, hörte die dargebrachte Danksagung noch an und verschied einige Minuten später. Man gedachte des Tages auch in den Preußischen Provinzialblättern.

In der Geschichte der Alten Regierung ist vor allem der Brand des Gebäudes vom 27.—29. April 1864 zu vermerken, bei dem die ganze (oberste) Attika-Etage und alle darin befindlichen Akten, das Zinkdach, ferner die Fußböden, Decken und Fenster im 3. und auch z. T. im 2. Stockwerk zerstört wurden. Der große Sitzungssaal und die Räume der Präsidialwohnung fielen ebenfalls den Flammen zum Opfer, während die Akten der Abteilung des Innern, der Finanzabteilung und des Präsidiums sowie die Bibliothek und die Plankammer gerettet wurden. Die Ursachen dieses Brandes der Alten Regierung sind offenbar nie genau geklärt worden. Bei dem Vorgang selbst soll „politische Verhetzung" eine Rolle gespielt haben.

Am 1. Oktober 1864 war das Gebäude wiederhergestellt. An die Stelle des mit Zink bedeckten Pultdaches war ein Satteldach getreten, das mit englischem Schiefer bedeckt worden war. Dadurch hatte man in der Attika Raum gewonnen, baute diese aber nicht zu Geschäftsräumen aus, weil man dann die kleinen Fenster hätte vergrößern müssen, was bei diesem Gebäude gegen die Ästhetik verstoßen hätte.

Eine weitere erfreuliche Änderung erfuhr das Gebäude im Jahre 1880, um dann in diesem äußerlichen Zustande bis in unsere Zeit zu verbleiben. Die Alte Regierung erhielt als Zierde den bis dahin auf dem Postamte in Tilsit befindlichen mächtigen preußischen Adler, der dort durch den Reichsadler ersetzt werden mußte. Der Adler stammte — wie das Tilsiter Postamt — aus der Zeit Schinkels und war in der Kgl. Eisengießerei in Berlin gegossen worden. Er hatte eine Flügelspanne von 3,80 m, eine Höhe von 0,70 m und ein Gewicht von 1.500 kg. Der Preis betrug 120 Mark, die Transport- und Aufstellungskosten 380 Mark. Ohne Zweifel belebte er die etwas eintönig wirkende Fassade.